Leon Dervisaj: «Nicht jeder ist für den Profisport im Ausland gemacht.»

In der neuen Serie bei aargauersport.ch «World Wide Aargau» stellt Fabio Baranzini Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Den Auftakt macht Leon Dervisaj (24) aus Unterentfelden, der als einziger Schweizer Profivolleyballer im Ausland spielt.

Leon, du hast bis 2017 bei Volley Schönenwerd in der Nationalliga A gespielt und hast dann in die Deutsche Bundesliga gewechselt. War für dich immer klar, dass du den Sprung ins Ausland wagen willst?
Als ich realisiert habe, dass ich auf meiner Position als Passeur das nötige Talent mitbringe und es in der Schweizer Liga gut lief, war für mich klar, dass ich ins Ausland wechseln wollte.

Was macht den Reiz für dich aus, als Profi im Ausland zu spielen?
Ich wollte herausfinden, wo mein Limit ist. In anderen Ländern wird noch professioneller gearbeitet als in der Schweiz. Dort sind dann alle Spieler im Team Vollprofis und nicht nur die Hälfte, wie hier in der Schweiz. Entsprechend ist auch das Niveau höher.

Du bist gebürtiger Deutscher und hast die ersten 12 Jahre deines Lebens in Oldenburg verbracht, ehe du in die Schweiz gekommen bist. Ich nehme an, es war kein Zufall, dass Deutschland deine erste Station im Ausland war.
Ja, meine Herkunft hat natürlich auch eine Rolle gespielt. Aber Deutschland ist ganz generell eine gute erste Station. Die Bundesliga ist ein super Sprungbrett für die besten Ligen der Welt in Italien, Polen und Russland. Und dahin zukommen – am liebsten nach Italien – ist mein grosses Ziel.

Deine erste Station in der Bundesliga war der TSV Herrsching. Was war die grösste Umstellung im Vergleich zur Schweiz?
Dass ich plötzlich alleine gewohnt habe. Entsprechend musste ich auch alleine kochen und putzen (lacht). Das hat mir der Zeit aber gut geklappt. Dennoch verbringt man als Profi im Ausland deutlich mehr Zeit alleine als in der Schweiz. Du trainierst zwar jeden Tag zwei Mal mit dem Team, aber du verbringst nicht jede freie Minute mit deinen Teamkollegen. Die Familie, die Freundin und die Kollegen fehlen. Damit muss man erst umgehen lernen. Nicht jeder ist für den Profisport im Ausland gemacht.

Wie hast du das Problem für dich gelöst?
Mir hat es sehr geholfen, dass ich noch ein Fernstudium in Sport Business Management mache. Ansonsten hätte ich wohl zu viel Zeit mit Netflix und gamen verbracht. Zudem habe ich auch viel mit meiner Familie, meinen Kollegen und meiner Freundin telefoniert. Und wenn es die Zeit hergab, bin ich in die Schweiz gefahren. Nur Volleyball zu spielen, ist auf Dauer kein ausgeglichener Lebensstil – zumindest nicht für mich.

Wie hast du dich sportlich in der Bundesliga zurechtgefunden? Die Schweiz ist ja keine Volleyball-Grossmacht, entsprechend wird man in Deutschland wohl kaum auf Leon Dervisaj aus der Schweiz gewartet haben.
Das stimmt. Ich bin im Team gut aufgenommen worden. Aber es gab schon auch Leute, die sich gefragt haben, wer denn dieser Leon Dervisaj ist. Viele meinten wegen meines Nachnamens auch, dass ich aus Osteuropa komme und kein Deutsch spreche. Als Schweizer musste ich mich doppelt beweisen. Schliesslich gibt es ja auch kaum andere Schweizer Volleyballprofis im Ausland. Bei den Männern bin ich der einzige und bei den Frauen spielen nur Maja Storck und meine Freundin Laura Künzler im Ausland.

Was glaubst du sind die Gründe, weshalb du der einzige Schweizer Profivolleyballer im Ausland bist?
Es gibt noch weitere Schweizer, die das Potenzial dazu hätten. Aber wenn du als Schweizer richtig gut bist, verdienst du in der Schweizer Liga sehr gut. Denn aufgrund des beschränkten Ausländer Kontingents sind starke Schweizer Spieler sehr gefragt. Wenn diese Spieler also den Schritt ins Ausland wagen, hätten sie einerseits das Risiko, dass sie weniger spielen, und müssten andererseits Lohneinbussen in Kauf nehmen. Zudem arbeiten oder studieren die meisten noch in der Schweiz. Das macht den Wechsel auch nicht einfacher.

Verfolgst du eigentlich das Schweizer Volleyball noch?
Ja klar. Mein Vater ist schliesslich Sportchef bei Volley Schönenwerd. Ich hoffe, sie holen jetzt den Titel. Und ich habe noch immer viele Kollegen, die in der NLA spielen. Darum schaue ich mir zumindest die Resultate regelmässig an.

Zurück zu deiner Karriere: Nach einer Saison beim TSV Herrsching hat du zum TV Rottenburg gewechselt und in dieser Saison warst du sogar bei zwei Vereinen aktiv. Bei SVG Lüneburg und zuletzt bei United Volleys Frankfurt. Wie kam das?
Mein erstes Jahr in der Bundesliga war super und ich bin zu viel Spielzeit gekommen, obwohl ich nicht Stammspieler war. Herrsching hatte mit dem ersten Passeur aber einen langjährigen Vertrag abgeschlossen und daher legte mir der Trainer einen Wechsel nahe. So ging ich nach Rottenburg, wo ich meine bislang beste Saison spielte. Ich kam sogar in die Top 3 der MVP-Wertung der Bundesliga. Leider musste sich der Verein wegen Corona aus der Bundesliga zurückziehen. So wechselte ich zu Lüneburg, wo ich aber nicht glücklich wurde. Irgendwie hat es mit dem Trainer nicht geklappt. Ich habe alles versucht, um mich aufzudrängen, aber es hat nichts gebracht. Ich hatte keinen Spass mehr am Volleyball und war oft traurig. Ich wusste daher: Ich muss weg. Ich löste meinen Vertrag noch während der Saison auf und kehrte in die Schweiz zurück. Dass ich zuletzt noch drei Monate bei Frankfurt gespielt habe, war Zufall. Ihr Passeur hat sich verletzt und sie brauchten daher kurzfristig Verstärkung.

Mit Frankfurt habt ihr es in die Playoffs geschafft, seid dort aber im Viertelfinale ausgeschieden. Wie geht es jetzt weiter?
Das ist noch nicht klar. Ich kann mir durchaus vorstellen, in Frankfurt weiterzuspielen. Noch ist aber nichts entschieden. Ich träume natürlich immer noch davon, eines Tages in Italien zu spielen.

Wie hast du dich in deiner Zeit in Deutschland als Spieler weiterentwickelt?
Ich habe insbesondere im Athletikbereich grosse Fortschritte gemacht. Da wird in Deutschland professioneller gearbeitet als in der Schweiz, wo oftmals die Ressourcen fehlen. In Deutschland hat man mehr Trainer und mehr Hallenzeit, um individuell zu arbeiten. Das hat mir geholfen.

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